Story

Birnenhonig

Dominik Flammer

«Aus Birnen kann man Honig machen, das trefflich ist zu vielen Sachen», liess der Zürcher Kupferstecher David Herrliberger einen von ihm portraitierten Bauern bereits im Jahr 1749 auf seinen bekannten Zürcher Ausrufbildern diese uralte Innerschweizer Delikatesse anpreise . Der Birnenhonig war ein damals begehrtes und teures Produkt auf den Märkten, wenn auch etwas günstiger als der Bienenhonig. Während diese aus frischem und eingedicktem Birnensaft vielseitig einsetzbare süsse und malzige Latwerge lange Zeit noch aufs Butterbrot gestrichen wurde, entdecken sie viele Köchinnen und Küchenkünstler heute wieder als raffinierte Würze. Schon im 16. Jahrhundert begannen die Bäuerinnen und Bäcker in kalten Jahren, in denen die Imker mit ihren Bienen nur spärlich Honig sammeln konnten, den Birnenhonig aus der Not heraus immer häufiger als Süssungsmittel für allerlei Lebkuchen und Feiertagsgebäcke einzusetzen. Dies ist für erstklassig Lebkuchen bis heute so geblieben. Mit der Ankunft des Zuckers, der bis ins 19. Jahrhundert hinein sündhaft teuer blieb, veränderten sich auch die Vorlieben unserer Vorfahren für Süsses. Wer sich keinen Zucker leisten konnte, der wich auf Honig oder eben auf Bienenhonig aus. Insbesondere während des 30-jährigen Krieges (1616 bis 1648) begannen Bäuerinnen in der Innerschweiz und im Freiburgischen im grossen Stil damit, Birnen, Trauben und Äpfel zu entsaften. Erst mit der Entdeckung und der Förderung des Rübenzuckers um 1800 begann die Bedeutung des Birnenhonigs zu schwinden.

Seit einiger Zeit nutzen Spitzenköche und Gourmets die Qualitäten dieses ur-schweizerischen Produkts wieder auf vielfältige Weise, das in ähnlicher Art auch unter dem Begriff «vin cuit» auch in den Regionen der Westschweiz verwendet wird. Denn mit «Birähung» lassen sich nicht nur Saucen etwas eindicken, auch verleihen sie diesen eine malzig-herbe und durch den hohen Fruchtzuckergehalt auch süssliche Note, die perfekt zu kräftigen Fleischgerichten passt: ob zu Gitzi oder Lamm oder auch zu Hirsch oder zu Reh. Und selbst für Gemüsesalate wie solche aus rohen Randen oder aus rohen Kohlrabi lässt sich Birnenhonig in Saucen in Kombination mit Raps- oder Leindotteröl und mit kräftigen Kräutern wie Liebstöckel, Thymian oder auch etwas Minze perfekt kombinieren. Empfehlenswert ist der Birnenhonig aber auch für die sehr einfache Küche: in der Innerschweiz wird er oft zu Gschwelti serviert, harmoniert er doch am allerbesten mit kräftigen Alpkäsen, ebenso wie auch mit jeglichen Frisch- oder auch Blauschimmelkäsen. Empfehlenswert ist übrigens, den Birnenhonig direkt beim Produzenten oder der Produzentin zu kaufen. Ausweichen kann man auch auf das bei vielen Grossverteilern erhältliche Birnel, das allerdings industrieller und im Schnellverfahren hergestellt wird und weit weniger aromatisch ist als die stundenlang auf kleinem Feuer eingekochten Birnenhonige. Doch aufgepasst: Leider dürfen die Vermarkter den Begriff Honig nicht mehr verwenden: «Birnendicksaft» heisst er heute, staatlich verordnet und im Einklang mit der obrigkeitlichen Lebensmittelverordnung. Was seinen Qualitäten allerdings keinen Abbruch tut. Wer Geduld hat, der sollte sich gleich ein halbes Dutzend von den Gläsern kaufen und diese im Weinkeller lagern. Denn wie viele Weine gewinnt auch der Birnenhonig mit den Jahren dazu. Am allerbesten soll er nämlich sein, wenn er zwanzig oder gar dreissig Jahre alt ist.

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