Story

Dörrbohnen

Dominik Flammer

Eine Packung Schweizer Dörrbohnen gehört wohl zu den grössten Freuden, die ich österreichischen, französischen oder norditalienischen Sterneköchen bisher machen konnte. Wie kleine Buben rissen sich meine Freunde vom Kochcampus Österreich um die Packungen, die ich ihnen bei einem Besuch bei Andreas Caminada präsentieren durfte: «Bei euch gibt es getrocknete Algen?», meinte einer von ihnen auf den ersten Blick. Ein amüsanter Irrtum, weil unsere Nachbarn Dörrbohnen schlicht nicht kennen. Denn diese sind so urschweizerisch wie der Emmentaler, das Basler Leckerli oder die Aargauer Rüeblitorte. Nur, dass Emmentaler auch im Ausland produziert wird, Leckerli in Form von Lebkuchen auch in Süddeutschland, Österreich oder im Südtirol existieren und dass das Rüebli auch von den nordischen Köchen als Kuchenzutat bereits entdeckt wurde. Die Dörrbohnen hingegen, die gibt es wirklich nur in der Schweiz. Und dies, obwohl die grünen Böhnchen erst im 17. Jahrhundert von Südamerika her die Schweiz erreichten, so wie die Tomate, die Kartoffel oder die Sonnenblume. Und da früher der Dörrofen zu den Dörfern gehörte wie die Dorfkirche und heute der Dörrex zu den weitverbreitetsten Küchengeräten in der Bauernküche zählt, sind nebst den Birnen, Zwetschgen, Äpfeln und Kirschen auch die Bohnen zu einem zentralen Bestandteil der weitverbreiteten Schweizer Dörrtradition geworden. Wie das Obst, das früher kaum lange in den Winter hinein gelagert werden konnte, wurden auch die Bohnen so getrocknet, dass man sie bis ins Frühjahr hinein nutzen konnte und so in der kalten Jahreszeit nicht auf Gemüse (oder Süsses, wie beim Obst) verzichten musste. Bekannt geworden, sind die Dörrbohnen vor allem als Zutat zu Schlachtplatten, saurem Mocken oder rauchgeschwängerten Würsten.

Heute gehören sie aber zusehends auch zu den beliebten Zutaten in der vegetarischen Küche, die sich wohl oder übel mit der Vielfalt und den Techniken des Gemüsekochens beschäftigen darf. Ob als Dörrbohnensalat oder als Zutat zu einer Dörrbohnenquiche, ja selbst mit etwas Sesampaste zu einem Dörrbohnen-Hummus püriert, erleben sie heute dank zahlreicher neuer Einflüsse eine Renaissance. Und sie sind vor allem auch von den Gemüsebauern wieder entdeckt worden, nachdem jahrelang im Handel fast ausschliesslich Dörrbohnen aus China erhältlich waren – die wiederum ausschliesslich für den Schweizer Markt produziert wurden. Dass insbesondere Bio-Bauern diese alte und einzigartige Schweizer Tradition wieder entdeckt haben, lässt darauf hoffen, dass gedörrte Delikatessen den Direktvermarktern unter den Bäuerinnen und Bauern auch Lust auf weitere Wiederentdeckungen macht. Denn davon gibt es noch mehr als genügend. So wie im Baselbiet mit der Bottenwurst eine Wurst mit gedörrten Zwetschgen wiederentdeckt wurde und in Zug die Chriesiwurst seit einigen Jahren einen Höhenflug erlebt, tauchen mittlerweile auch gedörrte Tomaten, Zucchetti oder selbst Mirabellen in den Hofläden auf. Oder wie im neusten Buch («Meine Küche im Frühling und Sommer», AT-Verlag) der einzigartigen Tessiner Köchin Meret Bissegger auch wieder ein traditioneller Dörrbohneneintopf. Und wer auf den nach traditioneller Schweizer Art verwendeten Speck verzichten will, dem empfiehlt Bissegger geräucherten Kürbis oder Walnüsse. Aber vor allem gibt sie den ultimativen Tipp, den jede Dörrbohnenköchin und jeder Dörrbohnenkoch berücksichtigen sollte: Dörrbohnen müssen über Nacht in kaltem Wasser eingeweicht werden.

 

Quelle Bilder: © Sarah Michel, Ballenberg: Freilichtmuseum der Schweiz.

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