Morgens muss zunächst Brot gebacken werden, zwei Sorten bekommen mittags und abends die Gäste serviert, einige weitere Sorten werden im kleinen Laden von Tanja Grandits – eine Boutique des guten Geschmacks – angeboten. Täglich essen insgesamt rund hundert Leute im «Stucki». Sie essen auf hohem Niveau, die wichtigsten beiden Gourmet-Führer geben dem Haus zwei Sterne (Michelin) beziehungswiese 18 Punkte (Gault Millau). Sie bekommen also täglich zweimal frisch gebackenes Brot, ein wunderbares kleines Baguette und ein kräftiges, säuerliches Vollkornbrot mit Leinsamen, dazu wird eine gesalzene Butter sowie eine mit Limettengeschmack serviert.
Doch Julien Duvernay, 1982 im französischen Roanne geboren, arbeitet nicht bloss für Brot und Butter vierzehn bis sechzehn Stunden täglich. Sein Aufgabengebiet ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen und nicht wenige Szene-Kenner halten den Franzosen für den besten Restaurant-Patissier der Schweiz.
Duvernay ist ein stiller, lächelnder Perfektionist, sein Team aus einem Bäcker und zwei weiteren Patissiers führt er nicht mit lauten Kommandos sondern dadurch, dass er ein Vorbild ist. Seine Kollegen Alex, Marco und Silvana, die einzige Frau im kleinen Team, wissen sowieso, was zu tun ist. Wenn man ihrem Chef bei der Arbeit zuschaut, wirkt er zwar konzentriert, aber immer scheint ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht zu liegen, vielleicht ein nach aussen sichtbares Zeichen für das Glück und die Zufriedenheit, die Julien Duvernay bei seiner Arbeit empfindet, in der er seine ganze Erfüllung zu finden scheint.
Das war nicht immer so. Denn der Patissier ist länger im «Stucki» als seine Chefin Tanja Grandits. Als er 2002, nach einer Lehre in einer kleinen Produktions-Patisserie mit vier Läden in Frankreich, nach Basel kam, war das «Stucki» ein Restaurant, das unter der Leitung von Jean-Claude Wicki hochklassische französische Küche anbot und in dem ausschliesslich Französisch gesprochen wurde.
Die Übernahme des «Stucki» 2008 durch Tanja Grandits und René Graf erschütterte die Welt des Julien Duvernay, der damals alleine in seinem Keller kunstvolle Süssigkeiten herstellte. Lachend erstaunt erzählt Tanja Grandits heute, wie Julien etwa ein Apfel-Dessert mit der Nachbildung eines flüssig gefüllten kleinen Apfels ergänzte. Bloss: das war nicht die Art Desserts, welche die neue Chefin ihren Gästen servieren wollte. Ihr schwebte eine radikal neue kulinarische Sprache vor, ein avantgardistischer Ansatz. Duvernay fiel in eine Schaffenskrise, er sah sich zunächst ausserstande, den Ansprüchen seiner neuen Chefin zu genügen. Dass plötzlich alle um ihn herum Deutsch sprachen, bis heute eine Fremdsprache für ihn, hat wohl das persönliche Arbeitselend noch vertieft.
Aber mit dem fast grenzenlosen Vertrauen der Chefin und dem aufkommenden Wunsch, sich zu verändern, machte Julien Duvernay einen erstaunlichen Weg. Tanja Grandits sagt, sie sei eigentlich kein grosser Dessert-Fan. «Aber das, was Julien macht, das schmeckt mir einfach. Es ist die natürliche Fortsetzung von dem, was wir in der Hauptküche zubereiten. Der Stellenwert des Desserts in meinen Menüs ist erst durch Julien massiv gestiegen.»
Grosses Vertrauen ist die Basis dieser höchst erfolgreichen Zusammenarbeit. Es soll Leute geben, die nur wegen der Desserts das «Stucki» besuchen. Und Tanja Grandits’ Lebensmittel-Boutique ist voller besonderer Produkte aus der feinen Keller-Küche: Brotaufstriche, Joghurt-Cerealien-Mischungen, Sorbets, Aprikosenbrot, aromatisierte Schokolade-Tafeln auf denen steht: «Tanja Grandits – Julien Duvernay».
In der «Stucki»-Patissierie riecht es nach geröstetem Mehl von den vor sich hinbackenden Baguettes, eine riesige Küchenmaschine mit dem passenden Namen «Bear» schlägt eine umfangreiche knallrosafarbene Merengue-Masse bis sie so fest ist, dass man sie in praktisch jede beliebige Form bringen kann. Julien Duvernay, ein nicht sehr grosser schlanker Mann mit akkuratem Haarschnitt und kräftigen, sehnigen Armen – Ergebnis einer zuweilen körperlich anstrengenden Arbeit – trägt Creme-Tupfer in Silikon-Formen auf. Jeder Handgriff sitzt, mit der Präzision eines Feinmechanikers wird jeder Handgriff ausgeführt, Tupfer für Tupfer sieht gleich aus, als schichte man Eier in einen Karton.