Story

Man an der Front

Hausbesuch bei Oliver Friedrich auf «Schloss Schauenstein»

Es ist ein schöner Herbsttag in der Bündner Herrschaft und in den Rebbergen haben die Weinbauern viel zu tun. Der Morgen beginnt für Oliver Friedrich tatsächlich mit Wein. Nicht, dass er schon frühmorgens ins Glas schauen würde. Nein, der 38-jährige Restaurantleiter und Sommelier besucht seine wichtigsten Lieferanten von Pinot Noir, Sauvignon Blanc oder Chardonnay gerne persönlich. Bis im Herbst 2016 war Friedrich Restaurantleiter im «Schloss Schauenstein» von Spitzenkoch Andreas Caminada. Künftig wird er sich im «Park Hotel Vitznau» um die Weinkeller und das Training des Servicepersonals kümmern.
Heute ist der gut gelaunte auf Visite bei Martin Donatsch, dem jungen talentierten Winzer aus Malans, der das Unternehmen seiner Eltern weiterführt. Seine Produkte werden als «Sensation» bezeichnet, man spricht von einer «Winzerlegende». Donatsch-Weine gibt es nicht im Supermarkt, es gibt sie eigentlich gar nirgends zu kaufen. Donatsch beliefert nur Spitzenrestaurants wie «Schloss Schauenstein» oder «Hôtel de Ville – B. Violier» in Crissier. Es gibt sogar Wartelisten, die Donatschs können sich ihre Kunden buchstäblich aussuchen.
Jährlich werden hier bloss 600 Kilogram Sauvignon Blanc geerntet, in Edelstahlbehältnern liegen die prallen, gelb-grünen Traubendolden, die bald darauf durch die mechanische Presse gedrückt werden nun bereit. «Kleine Erträge, geniale Qualität», fasst Oliver Friedrich das Erfolgsrezept Donatschs zusammen. «Schloss Schauenstein» sei sein bester Kunde sagt Martin Donatsch auf der anderen Seite. Sein Ziel sei es, einen Wein zu schaffen, der wie eine schöne Frau erscheine. «Zu perfekt ist langweilig, ein guter Wein muss Charakter haben», sagt er.

Was macht einen guten Gastgeber aus?

Das Handy von Oliver Friedrich klingelt, von einem Sechsertisch heute Mittag sind zwei Personen schon eingetroffen, die Kollegin fragt, was zu tun sei. Friedrich gibt eine kurze Anweisung, dann werden einige Kartonkisten mit Crémant – ein klassischer Blanc-de-Blanc-Schaumwein, der mit Flaschengärung produziert wird – in Friedrichs angejahrten Mercedes-SUV geladen. Ein paar Minuten später werden die Weinkartons in den pittoresken Gewölbekeller von Caminadas Restaurant gestapelt.
Friedrich macht sich bereit für den Mittag-Service. Jeans und Lederjacke werden ersetzt mit einem gut sitzenden schwarzen Anzug, weissem Hemd und einer schmalen, schwarzen Krawatte. Was macht eigentlich einen guten Gastgeber aus?, geht die Grundsatzfrage an den Gastgeber von «Schloss Schauenstein». Der sagt: «Die Werte, mit denen ein Service-Team seinen Gästen gegenübertritt, haben viel damit zu tun, was ich zu Hause auf den Weg mitbekommen habe, und was mir in den Betrieben, in denen ich mein Handwerk gelernt habe, vermittelt wurde. Wir versuchen Gäste, die nur in Top-Hotels verkehren ebenso abzuholen wie Leute, die sich einmal im Jahr ein Erlebnis wie bei Andreas Caminada oder im Park Hotel Vitznau leisten.»
Es ist ein schmaler Grat zwischen Lockerheit und Korrektheit. «Einer Dame, der ich den Pelzmantel abnehme, habe ich anders zu begegnen als einem jungen Pärchen, das sein einjähriges Beziehungsjubiläum bei uns feiert. Das ist die Kunst des Gastgebers, die ich meinem Team beibringen will», erklärt Friedrich. Es scheint zu funktionieren. Wenn zum Beispiel Andreas Caminada nach dem Essen seine Runde von Tisch zu Tisch dreht, hört er in der Regel viel Lob für die Arbeit der Küche, aber ebenso für den aussergewöhnlichen Service. Friedrichs Mischung aus Lockerheit und Kompetenz kommt an. Eine humorvolle Einlassung da, eine kompetente Information dort – und dabei hat das Team immer im Auge, was der Gast als nächstes möchte oder tut. Dass kein Wein- oder Wasserglas leer werden darf, ist selbstverständlich. Ein guter Servicemitarbeiter weiss aber auch schon, was seine Gäste im Sinn haben, bevor es diese selbst genau wissen. Antizipieren nennt man das im Fussball, die Japaner sagen dazu etwas poetischer «Omotenashi» – die Kunst der Gastfreundschaft auf höchstem Niveau.

Kein Parfüm, dezentes Make-up

Das Team im «Schauenstein» besteht pro Service aus einem halben Dutzend junger Frauen und Männer in schlicht geschneiderten dunkelgrauen Kleidern, die eigens für das Restaurant von Andreas Caminada entworfen wurden. Sie stehen nun in den kleinen Räumchen zwischen Küche und Gasträumen und drapieren Apéro-Kleinigkeiten auf Serviertabletts. Dazwischen werden Bestellungen auf berührungsempfindlichen Bildschirmen erfasst. Die Konzentration ist hoch, die Anspannung zu Beginn dieser perfekt choreografierten Kulinarikdarbietung scheint mit Händen greifbar.
Einmal pro Woche hat Friedrich seine Leute im Schloss jeweils geschult: Abläufe müssen standardisiert, Grundsatzfragen beantwortet werden. Wer kunstvolle Caminada-Gerichte aus Felchenfilets mit Kohlrabi, Avocadomousse und Grapefruit serviert, muss gewisse Vorgaben einzuhalten: Kein Parfüm, Frauen tragen Make-up – aber dezent! –, kein Schmuck ausser dem Ehering, keine Uhr, saubere Schuhe, gebügelte Kleidung und das Benutzen eines Deodorants ist obligatorisch.
Eine gute Kellnerin, ein guter Kellner muss ziemlich viel können: von B wie Benehmen und Sozialkompetenz bis W wie Weinkunde und Z wie Zubereitungstechniken etwa. Und dazu noch Sprachen: Deutsch, Französisch und Englisch ist das Minimum, Italienisch ist von Vorteil und zwei Leute an der Front sprechen Rätoromanisch. Immerhin nennt sich Andreas Caminada ja «Cuschinier Striun Grischun» (Bündner Koch).

Ein schöner, strenger Beruf

Wenn ein Gast Platz nimmt in einem der neu gestalteten Räume des Restaurants, dann wussten Oliver Friedrich und seine Leute, was er das letzte Mal gegessen hatte, ob er Mineralwasser mit oder ohne Kohlensäure trank, ob er Allergien hat, keine Krustentiere mag und so weiter. Die humorvolle, lockere Art Friedrichs sollte nicht davon ablenken, dass er ein höchst präziser, korrekter Mensch ist. «Mein Vater war Beamter und in meiner Lehre im Hotel und Restaurant ‹Bareiss› im Schwarzwald wurde ich auf Präzision getrimmt», sagt er. «Mein Sofa zu Hause muss exakt parallel stehen, das kriege ich nicht aus mir raus. Ich bin in dieser Beziehung mathematisch veranlagt.» Wochenlang übt Friedrich mit seinem Team, damit jeder Teller m Ende genau gleich vor dem Gast steht. «Aber wenn etwas unter Druck mal etwas nicht hundertprozentig funktioniert, kommt es am Ende nur auf die Persönlichkeit an: Ruhe bewahren, freundlich und souverän bleiben.»
Gutes Servicepersonal zu finden ist auch für ein Restaurant, das überall Top-Bewertungen bekommt und gar zu den 50 besten der Welt gerechnet wird, laufend in den Medien erwähnt wird: sehr schwer. Der Beruf ist menschlich herausfordernd, fünf Tage die Woche. «Man gibt viel von sich», sagt Friedrich. «Aber genau das interessiert mich an diesem Job: Irgendwann kommen die Gäste zu dir, die wissen wo ich wohne, wie meine Frau heisst, und dass wir ein Kind haben. Ich könnte meinen Lebensunterhalt auch verdienen, indem ich Schnitzel oder Kaffee und Kuchen austrage», sagt Friedrich. «Ich habe Abitur gemacht, hätte studieren können und einige meiner Freunde haben damals gesagt, «einen Teller an den Tisch bringen, kann noch jeder Taxifahrer». «Aber abends fahre ich nach Hause und bin glücklich und zufrieden, weil ich Menschen einen tollen Tag bereiten konnte. Das könnte ich in einem anderen Job nicht.»

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