Story

Kunst des Teilens

"Der Geschmack muss bei uns einfach stimmen."

Silvio Germann, geboren 1989, aufgewachsen in Grosswangen zwischen Willisau und Sursee, ist kein Mann der lauten Töne. Seine Arbeit nimmt er ernst, sich selber nicht zu sehr. So steht er an einem verregneten Morgen in der Küche des Restaurants «IGNIV by Andreas Caminada» im «Grand Ressort Bad Ragaz» und erzählt, was ihm wichtig ist: «Der Geschmack muss bei uns einfach stimmen. Wir richten schön und präzis in Schalen und auf Platten an, und es soll eher wie zu Hause sein: Jeder nimmt sich so viel wie er möchte.»

Mit den beiden «IGNIV»-Restaurants in Bad Ragaz – und während der Wintersaison auch in St. Moritz – hat Andreas Caminada in der Südostschweiz eine Idee verwirklicht, die in den letzten Jahren weltweit an Popularität gewonnen hat: In vielen Toprestaurants werden heute Gerichte zum Teilen aufgetischt und in einfacheren Lokalen ist das Teilen des Essens ein Prinzip geworden. Das passt zu unserer Zeit, in der die «Sharing Economy» zum Thema wird: Man teilt Autos, Wohnungen, eine Bohrmaschine oder Kopfsalat mit Trüffelvinaigrette.

Freude am gemeinsamen Essen

Wer im «IGNIV» sitzt, hat nämlich bald schon einen Tisch voller Essen vor sich. Platten, Teller und Schüsseln mit Salat, Fisch, Fleisch oder Gemüse. «Teilen macht Freude», sagt Silvio Germann und zählt auf, was den Gast alles erwartet: Vier Apéro-Häppchen, acht verschiedene Vorspeisen, sechs Gerichte im Hauptgang und wer will bekommt wahlweise noch drei oder fünf Überraschungen. Danach gibt’s auf Wunsch eine Käseplatte und sieben Desserts. «Das ganze Menü haben erst wenige geschafft», sagt Germann lachend.

Aber natürlich geht es hier nicht um die Menge oder gar Völlerei, es geht vielmehr um eine gemeinschaftliche Idee vom Essen. Man nimmt mal von dem, etwas mehr von diesem und wer etwas nicht mag, lässt es einfach weg. Davon hat es dann dafür mehr für den Tischnachbarn. Essen heisst im «IGNIV»: Alles für alle. Man teilt Zeit, Wein, gute Gespräche und ausgezeichnete Gerichte.

Für Silvio Germann und sein kleines Team (je zwei weitere Leute in der warmen und in der kalten Küche) ist jeder Abend eine sportliche Herausforderung. Und auch der Service muss hellwach sein, es gilt, die verschiedenen Gerichte pro Gang schnell und möglichst heiss zum Gast zu bringen. Im Hauptgang etwa gibt es sechs verschiedene Zubereitungen, zurzeit wird das Thema «Schwein» aufgetischt: eingesalzener, geschmorter Schweinebauch, Spare Ribs, Kotelett, eine kleine Sulzkugel mit Meerrettich, geschmorter Babylattich mit Schweineschmalz, brauner Butter und Lardo sowie eine Gemüsebeilage.

Für jedes Fleischstück sucht Germann die perfekte Zubereitungsart: Der Schweinebauch mit der dicken Schwarte etwa wird auf Wurzelgemüse gebettet, mit Salz und Kümmel gewürzt und über Nacht stehen gelassen. Am nächsten Tag schneidet er die Schwarte kreuzweisse ein und brät das Fleisch, Schwarte nach unten, langsam in der Pfanne goldbraun an. Nun kommt das Fleisch wieder auf das Gemüse, diesmal Schwarte nach oben, wird mit Geflügelfond aufgefüllt und zugedeckt 3 bis 4 Stunden bei 160 Grad im Ofen geschmort.

Oder die Spare-Ribs: Dafür wird zuerst eine Lake aus Wasser, Salz, Zucker, Pökelsalz und Gewürzen angerührt, darin liegen die Rippchen drei Tage lang. Dann werden sie 3 bis 4 Stunden lang bei 120 Grad Heissluft im Combi-Steam geschmort und schliesslich mit einem Lack aus Schmorjus, Rauchöl, Chili und Balsamico überzogen. Dann schmecken sie butterzart, süss und leicht scharf und lösen sich so leicht vom Knochen, wie man die Schale von einer Banane entfernt.

Neben den Schmorstücken gibt es auch ein kurzgebratenes Kotelett: Germann bindet es für eine schön gleichmässige Form mit etwas Küchengarn und brät es dann in Butter an, bis es eine schöne goldbraune Farbe hat. Danach zieht das gute Stück zuerst bei 160 Grad Heissluft für 8 bis 10 Minuten im Ofen, bis es eine Kerntemperatur von 43 Grad hat. Zwischendurch schäumt Silvio Germann eine gute Portion Butter auf, gibt Knoblauch, Schalotten und Thymian hinzu. Das Kotelett kommt nun, bedeckt von der Buttermischung in einen zweiten Ofen, wo es bei 80 Grad nochmals rund 20 Minuten nachzieht, bis die Kerntemperatur 54 Grad beträgt. «Schweinefleisch muss nicht durchgegart werden, wie man immer meint», sagt Germann. Vor allem, wenn es Fleisch von guter Qualität sei, sollte man es rosa servieren. Und für den perfekten Geschmack wird das Kotelett ganz zum Schluss nochmals in der Pfanne mit der Würzbutter übergossen (arrosiert).

Typisch «IGNIV»

Wenn man Silvio Germann fragt, was ein typisches «IGNIV»-Gericht ausmache, überlegt er kurz und antwortet dann: «Ich möchte, dass man von unseren Gerichten mehrmals probieren möchte.» Dafür brauchen sie geschmackliche Kraft, aber immer auch eine gewisse Frische, die etwa durch eine Säurequelle, Zitronenabrieb, Kräutern oder Schärfe hinzugefügt werden kann. «Köche mit grossen Ideen, deren Gerichte aber nicht schmecken, enttäuschen mich», sagt Germann über seine eigenen Ess-Vorlieben.

Germann ist zwar noch keine 30 Jahre alt, hat aber ein gutes Gespür für kulinarische Sinnhaftigkeit. Seine Gerichte wirken bodenständig, haben aber gleichzeitig ein gewisses Raffinement. Sein Rüstzeug hat sich der Luzerner als Lehrling in einem Gasthof in Sursee geholt, wo er schon früh überall eingesetzt wurde. Er ging zu Sandro Steingruber nach Flims und dann für dreieinhalb Jahre zu Andreas Caminada. Praktika bei Alex Atala in Sao Paulo (Brasilien) oder bei Quique Dacosta in Denia (Spanien) nutzte Germann zur Fortbildung bei profilierten Köchen.

«Schloss Schauenstein» wollte Silvio Germann eigentlich schon Richtung Deutschland verlassen, als ihm Andreas Caminada den Job als Küchenchef im «IGNIV» anbot. «Wir wurden ins kalte Wasser geworfen, und ich hatte ziemlichen Respekt vor der Aufgabe», sagt Germann rückblickend. Er geniesse viele Freiheiten, aber sein Chef sei jederzeit für ihn als Ansprechpartner da. Und Germann weiss natürlich genau, was Caminada will – möglichst lokale Produkte zum Beispiel – und was nicht: «Austern muss ich nicht servieren, das mag Andreas nicht und würde es auch nie zubereiten.»

Ein Koch, der ihn beeindruckt hat, war für Germann der Schwede Björn Frantzen, bei dem er drei Monate in Stockholm gearbeitet hat. «Sein Umgang mit Lebensmittel ist bemerkenswert», erzählt der «IGNIV»-Chef. «Jedes Rüebli ist dort ein König. Und vor dem Service gibt es ein ausführliches Meeting, damit jeder Koch genau weiss, wer im Restaurant sitzt. Das machen wir jetzt auch. Ich möchte, dass die Köche wissen, für wen sie kochen.» Silvio Germann spricht ruhig, überlegt, und man spürt ihm immer noch die Demut vor der Aufgabe an, die ihm Ende 2015 überraschend angeboten wurde. Der junge Koch hat sie bisher mit Bravour und Erfolg gemeistert: Vom «Guide Michelin» gab es schnell einen Stern, vom «GaultMillau» wurde er zur «Entdeckung des Jahres» ausgerufen und aus dem Stand mit 16 Punkten bewertet.

Silvio Germann scheint dies nicht sehr zu beeindrucken: «Ich muss noch viel lernen, deshalb tausche ich mich gern mit Kollegen aus», sagt er. Und: «Wenn ich länger Ferien habe, gehe ich zu andern Köchen, um etwas Neues zu sehen.» Man kann also davon ausgehen, dass das Essen im «IGNIV», das heute schon sehr gut ist, morgen noch viel besser sein wird.

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