Story

Marcel Skibba

Der Gast soll das, was er auf dem Teller hat, geniessen können.

Marcel Skibba spricht ruhig und überlegt, der schlanke, grossgewachsene Koch ist keiner, der schnell laut wird. «Wenn ich sauer werde, merkt man mir das vielleicht an, aber ich brülle deswegen nicht in der Küche herum. Am Ende suche ich lieber das Gespräch, um eine Sache zu klären.» Der 31-Jährige aus dem Schwarzwald ist seit 2017 während der Wintermonate Küchenchef des «IGNIV by Andreas Caminada» im St. Moritzer Prachtshotel «Badrutt’s Palace».

Herkunft verpflichtet, die Gäste hier sind anspruchsvoll und im «IGNIV» werden sie mit einer für viele eher ungewohnten Art der Gastronomie konfrontiert. Hier kriegt nicht jeder einfach den Teller mit dem bestellten Gericht vorgesetzt. Stattdessen kommen wie in Wellen immer wieder neue Schalen und Platten: Ein Wintersalat, etwas Foie-Gras-Terrine mit Joghurt und Physalis, eine wunderbare Fischsuppe mit Saibling und Langoustinenravioli, ein blumig-pfeffrig abgeschmecktes Rindertatar mit Creme Fraiche und luftig-knusprigen Kartoffelchips – ein schier endloser Reigen von hochwertigen Gerichten zieht an einem «IGNIV»-Abend an einem vorbei.

Diese Art von Gastronomie ist anspruchsvoll, sie erfordert ein hohes Mass an Organisation und Disziplin in Küche und Service. Einer wie Marcel Skibba, der die Ruhe bewahrt und gleichzeitig ein hohes Qualitätsempfinden hat, ist da genau richtig. Skibba ist in der Gastronomie gross geworden, die Eltern hatten einen Gasthof im Schwarzwald, «da habe ich im Service und als Spüler gutes Taschengeld verdient», erzählt er. Beeindruckt hat ihn aber der beste Freund seines Bruders, der die Küche leitete und durch Innovation auffiel. «Der hat sich fast alles selber beigebracht, hat Bücher gewälzt und ausprobiert», erzählt Skibba.

 

Mit 16 begann er eine Lehre in einem Traditionsbetrieb, 300 Kilometer weg von zu Hause, danach begann eine schwere Zeit, die den jungen Koch gefordert hat, in der aber auch eine charakterliche Grösse gewachsen ist. Durch die Krankheit des Vaters kam der elterliche Betrieb in Schwierigkeiten, der 21-jährige Marcel Skibba half zu Hause aus, merkte aber, dass er es nicht schaffen würde, den Familienbetrieb mit 15 Angestellten zu retten. «Ich habe geschaut, dass die drei Lehrlinge ihre Ausbildung beenden konnten, habe einen Kredit aufgenommen, um die Schulden zu bezahlen und das in Würde zu beenden.»

Den Kredit musste er über mehrere Jahre abzahlen, und gleichzeitig hat Skibba den Weg in die Spitzengastronomie gesucht. «Zu Beginn hatte ich richtig Angst vor der Herausforderung, weil das Restaurant, bei dem ich nach meiner Zeit im elterlichen Betrieb anfangen sollte, kurz vor meinem Start den zweiten Michelin-Stern erhalten hatte», erzählt der Küchenchef mit unprätentiöser Offenheit. Skibba biss sich durch, lernte nicht nur die Feinheiten der Sterneküche sondern auch die Voraussetzungen für eine gute Organisation: «Wir haben Brunch für 300 Leute gemacht und auf der anderen Seite lief das Gourmetrestaurant mit 30 Gästen.»

Nach mehreren Jahren im 3-Sterne-Restaurant «La Vie» in Osnabrück verschlug es Skibba mit seiner damaligen Partnerin in die Schweiz, bei Andreas Caminada im «Schloss Schauenstein» startete 2015 ein neues Abenteuer. Und mit dem «IGNIV» schreibt Marcel Skibba schon wieder ein neues Kapitel seiner Geschichte als Koch. Als solcher hat er eine relativ einfache Philosophie: «Es muss einfach schmecken», sagt Skibba mit einem Lächeln. Und fügt an: «Der Gast soll das, was er auf dem Teller hat, verstehen und geniessen können.» Das sei relativ einfach, wenn man ein gutes Produkt nehme.

Gleichzeitig müsse ein Gericht aber einen gewissen Schwierigkeitsgrad haben, sagt Skibba. Und da ist er bei aller Ruhe und Gelassenheit auch sehr genau: «Wenn etwas nicht sauber geschnitten ist, muss der Koch es halt nochmals machen», lautet die Ansage. Skibbas grosses Augenmerk liegt auf den Saucen, die in vielen Gerichten den Unterschied zwischen gut und sehr gut ausmachen.

«Mit das Wichtigste, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist, dass man Saucen nicht zu sehr reduzieren darf, sonst werden sie stumpf, und man schmeckt die Aromen der einzelnen Zutaten nicht mehr», erklärt der 31-jährige Küchenchef. Abhilfe schaffe in einem solchen Fall eine Suppenkelle guter Brühe oder Fond und sofort nehme das Geschmacksvolumen wieder zu.

Wir wechseln vom Gespräch am Tisch in die Küche, die vom Restaurant durch eine grosse Glaswand einsehbar ist. Marcel Skibba bereitet für uns einen jungen Klassiker aus dem IGNIV-Repertoire zu, den im Stile eines Ceviche angemachten Zander aus Luzerner Zucht. Beim Ceviche wird Fisch in Säure wie Zitronen- oder Limettensaft kurz gegart. Skibba fügt klein geschnittene rote Zwiebel, etwas Ingwer, Lauch und Saffran dazu, was für eine feine Würze sorgt.

Dann führt er vor, wie man das Ei sauber «köpft», um es auszuhöhlen und wieder zu füllen. Im IGNIV gibt es zum Start eine salzige und zum Schluss eine süsse Füllung im Ei. Skibba nimmt einen so genannten Eierschalensollbruchstellenverursacher zur Hand. Den offenen Aufsatz legt man über die rundere Seite des Eis – «nicht auf die Spitze legen», rät der Koch. Dann lässt er zwei, dreimal die schwere Kugel herunterfallen, so dass sich eine gleichmässige Sollbruchstelle ergibt. Mit einem kleinen Messerchen fährt er schliesslich durch die entstandene Naht und öffnet das Ei vorsichtig.

«Ideen für neue Gerichte kommen mir immer, wenn ich sie nicht erwarte, zum Beispiel unter der Dusche», erzählt Skibba nach der Ei-Demonstration. Dann müsse er die Einfälle sofort aufschreiben, damit sie ihm nicht verloren gingen. Denn es könne sein, dass sein Chef Andreas Caminada zum Kreativ-Meeting rufe, und dann sei es gut, ein paar Einfälle auf Vorrat zu haben. «Ich kann nicht auf Kommando Ideen auswerfen», sagt er.

Aber manchmal entsteht aus einem Zufall trotzdem etwas Gutes, so wie der Burger, der statt mit einem Hackfleisch-Patty mit Brisketstreifen gefüllt wird, der im Barbeque-Stil gegarten Rinderbrust. Skibba hat das Fleisch einmal in Heu vakuumiert und gepökelt: «Das Ergebnis war saftiger und sah schöner aus als die Variante ohne Heu.» Im Laufe der Zeit hat Skibba auch herausgefunden, dass das Kochen in einer Höhe von 1800 Meter über Meer eigene Gesetze hat. «Viele Rezepte zum Beispiel für die Silser-Brötchen haben hier am Anfang nicht funktioniert. Wir mussten etwas pröbeln, bis alles so war, wie es sein sollte», erzählt der Koch. Auch dabei hat ihm seine ruhige, überlegte Art zweifellos geholfen.

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