Ich hatte neulich das Glück, dass ich in der japanischen Botschaft in Berlin bei einem Shojin-Ryori-Essen dabeisein konnte. Zu Gast waren die Japanerin Mari Fujii und der Deutsche Bernd Schellhorn. Mari Fujii ist seit 30 Jahren Köchin. Dazu gekommen ist sie, weil ihr Mann Tempelkoch war und sie mit ihm zusammen auch eine Shojin-Schule aufbaute. Bernd Schellhorn ist ein profunder Japan-Kenner. Eigentlich Kunsthändler, stand er schon in einigen Profiküchen Japans. Bei einer der exklusiven Japan-Kunstreisen, die er regelmässig organisiert, lernte er dann auch Fujii Mariko kennen. Seit 2017 veranstaltet Bernd Schellhorn mit Mari Fujii auch Dinners in Deutschland, in absehbarer Zeit eventuell auch in der Schweiz. Ende 2017 kochte das Duo in der japanischen Botschaft in Berlin, in der Residenz des Botschafters. Wir wurden an eine weiss gedeckte Tafel unter einem Kronleuchter gebeten, die in Ihrer Grandezza einen schönen Kontrast zu der Einfachheit, die Shojin Ryori zelebriert, bot. Shojin Ryori spricht alle Sinne an. Natürlich allen voran den Geschmackssinn. Und zwar mit vielen Facetten. Sprich: Ein Shojin-Essen soll süss, sauer, salzig, bitter, scharf und Umami in einem Essen ausgewogen vereinen. Dabei bleibt die Küche aber zurückhaltend, was Würze und Saucen anbelangt. Es wird zwar Miso eingesetzt, Essig oder auch Sojasauce. Doch stets steht die Grundzutat im Mittelpunkt.
Bernd Schellhorn: «Es geht darum, den Moment zu erleben, beispielsweise die Karotte, wie sie an ebendiesem Tag schmeckt.» Das Shojin-Erlebnis geht über den Geschmack hinaus. Auch Duft, Farbe, Form und Haptik sind zentrale Elemente. Sowohl beim Essen, als auch beim Geschirr. Selten hatte ich bei einem Essen so stark den Eindruck, eine meisterhafte Bildkomposition vor mir zu haben, wie an dem Abend in der japanischen Botschaft. Dank Gastgeber Bernd Schellhorn, der selber jahrelang bei einem japanischen Keramikmeister arbeitete, wurde uns die Ehre zuteil, mit ausgewählten, teilweise auch antiken Keramikgefässen bewirtet zu werden. Auch wunderschöne japanische Lackschalen bereicherten das Bild, das vor unseren Augen an der Tafel aufgetischt wurde. Zwar besteht Shojin aus einem Dutzend kleinen Kompositionen, doch werden diese nicht als einzelne Gänge, sondern fast alle zusammen serviert, stets mit einer Schale Reis und einer Miso-Suppe. Oft kommen dabei auf den Tisch, neben Tofu, Goma dofu, eine Art Tofu aus Sesampaste, oder auch Fu, das aus Weizengluten hergestellt wird. Und natürlich viel Gemüse, das stets saisonal und lokal eingekauft wird. Zudem auch Pilze. Die Art und Weise, wie angerichtet werden sollte, «folgt traditionell einem geradezu unüberschaubaren, symbolgeladenen und bedeutungsschweren Regelwerk, das übrigens auch in Japan kaum mehr jemand beherrscht», sagt Bernd Schellhorn. «Wie bei allen Aspekten von Shojin aber ist die Ausgewogenheit von größter Bedeutung und so also auch beim Zusammenspiel der Präsentation.»